(Letzte Aktualisierung: 07.12.2022)
Art. 1 des Grundgesetzes
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
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Grundrechte-FAQ – Menschenwürde (Art. 1 GG)
Die Menschenwürde ist nach allgemeiner Auffassung nicht (nur) ein normales Grundrecht, sondern Fundament der staatlichen Rechtsordnung der Bundesrepublik. Damit grenzt sich das Grundgesetz schon in seinem ersten Satz deutlich vom Nationalsozialismus ab, der die Menschenwürde in vielerlei Hinsicht ignorierte oder leugnete. Wie sich aus Abs. 2 ergibt, ist die Menschenwürde auch die Begründung dafür, die weiteren Grundrechte anzuerkennen.
Menschenwürde ist schwer zu definieren
Dabei ist Menschenwürde schwer zu definieren. Wir kennen den Begriff vor allem von diversen Feierlichkeiten. Der König schreitet würdevoll zur Krönung. Eine Trauerfeier wurde würdig abgehalten. Um diese enge Vorstellung von Würde geht es im Grundgesetz aber nicht. Teilweise wird auch vertreten, die Würde des Menschen sei sein Schutz gegen eine entwürdigende Behandlung – freilich ein Zirkelschluss, der nicht viel weiter hilft.
Als Würde des Menschen bezeichnet man gemeinhin den unveräußerlichen Eigenwert des Menschen. Auch diese Definition hilft oft nicht weiter, deswegen wird ein Umweg darüber genommen, die genannte „entwürdigende Behandlung“ näher zu definieren.
Menschenunwürdig ist es demnach, wenn der Staat eine Person als reines Objekt seines Handelns sieht (sog. „Objektsformel„) und ihm keine Achtung entgegenbringt. Das ist bspw. dann der Fall, wenn eine Person zur Sache erklärt wird (Sklaverei), wenn ihm das Existenzminimum entzogen wird oder er gefoltert oder in anderer Weise menschenunwürdig behandelt wird. Auch wenn der Staat über eine Person wie über einen Gegenstand oder wie eine Spielfigur verfügt, um ein gewisses Ziel zu erreichen, fällt dies unter die Objektsformel.
Kriterien bleiben unscharf
Auch diese Kriterien sind freilich sehr unscharf: Wann wird der Bürger noch als Rechtssubjekt wahrgenommen, das freilich auch Pflichten hat und dessen Freiheit eingeschränkt werden kann, und wann wird er zum Objekt degradiert? Eine Entscheidung im Einzelfall ist und bleibt sehr schwierig.
Die Menschenwürde ist nach wohl noch überwiegender Meinung nicht einfach ein Grundrecht, sondern (auch) ein grundlegendes Staatsfundament. Während der Eingriff in gewöhnliche Grundrechte aus triftigen Gründen zulässig kann, gilt dies für die Menschenwürde nicht. Eine Beeinträchtigung der Menschenwürde ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen. Eine „entwürdigende“ Handlung des Staates ist somit stets unrechtmäßig, die Prüfung von Rechtfertigungsgründen entfällt.
Absolute Schutzfunktion der Menschenwürde
Besondere Konflikte ergeben sich daraus, wenn gewichtige Grundrechte anderer Personen entgegenstehen. Insbesondere wenn die „bloße“ Würde einer Personen gegen das Leben vieler Personen steht, ist es häufig schwer zu vermitteln, dass trotzdem die Würde absolut und ohne nähere Abwägung überwiegen soll.
Beispiel: Ein Terrorist hat eine chemische Bombe mit Zeitzünder in einer Großstadt versteckt. Er wird gefasst und weigert sich, den Ort der Bombe zu verraten. Der Tod tausender Zivilisten, einschließlich Kinder, droht. Trotzdem soll es unzulässig sein, eine Aussage durch Folter zu erzwingen, da Folter stets eine Menschenwürdeverletzung darstellt. Dieses dogmatisch begründete Ergebnis befremdet, auch wenn es sich freilich auf eine sehr unwahrscheinliche Extremsituation bezieht.
Dieser absolute Schutz durch die Menschenwürde führt aber wiederum dazu, dass sie relativ eng ausgelegt wird. Ist die Menschenwürde überhaupt nicht einschlägig, bleibt es bei den allgemeinen Regeln für Grundrechte und der Möglichkeit der Rechtfertigung von Eingriffen nach Abwägung der beteiligten Rechtsgüter.
Unterschiedliche Schutzrichtungen
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine gewisse Tendenz zu beobachten, dass die Menschenwürde selten zur Abwehr staatlicher Eingriffe durch den Betroffenen taugt, dafür aber häufig herangezogen wird, wenn der Staat bestimmte Handlungen verbieten will. So sollen bspw. Peep-Shows oder der „Zwergenweitwurf“ unzulässig sein, weil sie die Menschenwürde der Tänzerinnen bzw. Kleinwüchsigen verletzen, obwohl diese Personen selbst keinen Anstoß daran genommen haben. Hier kommt wiederum der Charakter als Staatszielbestimmung und Verfassungsfundament durch, weniger derjenige eines Grundrechts.
Die Menschenwürde muss zwar immer kurz angeprüft werden, wenn eine Verfassungsbeschwerde geplant wird. In der Regel wird man sich aber auf andere Grundrechte konzentrieren müssen. Die Menschenwürde ist normalerweise nur in ganz atypischen Ausnahmefällen relevant.
Einstiegsnorm für neue Grundrechte
Eine gewisse Bedeutung erhält die Menschenwürde aber als Einstiegsgrundrecht für neue Grundrechte, die erst durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entstanden sind. Diese werden oft aus der Menschenwürde, meist in Verbindung mit der allgemeinen Handlungsfreiheit, abgeleitet. Solche Grundrechte sind vor allem:
Diese Grundrechte sind freilich keine verselbständigten Aspekte der Menschenwürde. Es ist wohl auch nicht so, dass die Menschenwürde verletzt wäre, wenn es diese Grundrechte nicht gäbe. Aber das Bundesverfassungsgericht zieht die umfassende Gewährung der Menschenwürde dazu heran, den Grundrechtsschutz zu vervollständigen. Für Eingriffe in diese Grundrechte gelten dann die allgemeinen Regeln, nicht der absolute Schutzcharakter der Menschenwürde.
Fachartikel bei anwalt.de:
- Das Bundesverfassungsgericht zur Menschenwürde
- Die Menschenwürde in der Verfassungsbeschwerde (Teil 1)
- Die Menschenwürde in der Verfassungsbeschwerde (Teil 2)