Die Verfassungsbeschwerdefrist bei einer Teilaufhebung

In einem Verfahren kann es dazu kommen, dass das Gericht über einzelne Teile des Verfahrens mehrfach entscheiden muss. Dies hat auch Bedeutung für die Frist der Verfassungsbeschwerde.
In einem Verfahren kann es dazu kommen, dass das Gericht über einzelne Teile des Verfahrens mehrfach entscheiden muss. Dies hat auch Bedeutung für die Frist der Verfassungsbeschwerde.
Die Verfassungsbeschwerde ist erst zulässig, nachdem der gesamte Rechtsweg vor den Fachgerichten durchschritten wurde. Danach beträgt die Frist für die Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde einschließlich der Einreichung der Unterlagen einen Monat. Diese Monatsfrist beginnt mit Zugang der letzten fachgerichtlichen Entscheidung – dieser Zeitpunkt ist meist recht einfach festzustellen.

Problematischer ist diese Frage aber, wenn die letzte fachgerichtliche Entscheidung nicht einheitlich ist, sondern das Rechtsmittel teilweise für begründet und teilweise für unbegründet erklärt. Dieser Artikel soll klären, wie damit verfassungsrechtlich umzugehen ist und wie man Fristversäumnisse und andere rechtliche Nachteile vermeiden kann.

Fall 1: Teilweise Zurückverweisung

Nehmen wir als Beispiel einen Fall aus dem Strafrecht. Diese sind meist plastischer als Verfahren aus anderen Rechtsgebieten.

Jemand wird vom Landgericht wegen Betrugs und wegen Diebstahls verurteilt. Hiergegen legt er Revision ein, über die in diesem Fall der Bundesgerichtshof in letzter Instanz entscheidet. Auf die Revision hin kommt der BGH zum Schluss, dass der Verurteilung wegen Diebstahls rechtmäßig war. Der Betrug muss jedoch neu verhandelt werden, weil das Landgericht hier einen Fehler gemacht hat.

Kann nun bereits Verfassungsbeschwerde eingelegt werden?

Die Antwort ist: Ja. Gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs gibt es kein weiteres Rechtsmittel. Mit der Entscheidung des BGH wird die Verurteilung wegen Diebstahls rechtskräftig. Damit ist insoweit der Rechtsweg bis zum bitteren Ende beschritten und es kann somit Verfassungsbeschwerde eingelegt werden.

Muss auch jetzt bereits Verfassungsbeschwerde eingelegt werden?

Auch das ist der Fall – natürlich nur, sofern man sich wegen des Diebstahlsurteils nicht mit der Entscheidung des BGH zufrieden geben will. Aber weil eben das Urteil insoweit rechtskräftig ist, beginnt auch sofort die Monatsfrist für die Verfassungsbeschwerde zu laufen.

Was ist dann mit dem Betrugsvorwurf?

Dieser Teil des Verfahrens ist noch nicht abgeschlossen. Der BGH hat die Verurteilung aufgehoben, daher muss das Landgericht darüber noch einmal entscheiden. Wenn es insoweit wieder zu einer Verurteilung kommt und der BGH dann diese (besser begründete) Verurteilung für rechtmäßig erklärt, kann auch hiergegen Verfassungsbeschwerde erhoben werden. Dabei handelt es sich dann aber um ein separates Verfahren mit separatem Fristlauf.

Kann das neue Betrugsurteil abgewartet und erst dann die Verurteilung wegen Diebstahls angefochten werden?

Nein, bis nach einigen Monaten das Landgericht und danach der BGH über den Betrugsvorwurf nochmal entschieden haben, ist die Verfassungsbeschwerdefrist für den Diebstahl längst abgelaufen. Die Frist dafür lebt auch nicht neu auf, wenn über den anderen Teil des Prozesses entschieden wird.

Diese Konstellation kann es auch in anderen Rechtsgebieten geben, in denen Verfahrensgegenstände teilbar sind. Beispiele:

  • Nach einem Verkehrsunfall wird zwar Schadenersatz, aber kein Schmerzensgeld zugesprochen.
  • Im Steuerrecht wird das Arbeitszimmer als Ausgabe anerkannt, die Tankbelege dagegen nicht.
  • Eine Versammlung darf mit Megaphonen durchgeführt werden, Fahnen sollen aber verboten bleiben.
Fall 2: Schuldspruch bestätigt, Strafzumessung zurückverwiesen

Der Bundesgerichtshof ist der Ansicht, dass die Verurteilung zurecht erfolgt ist, der Schuldspruch wegen Diebstahls und Betrugs bleibt also bestehen. Nur bei der Strafzumessung hat das Landgericht einen Fehler gemacht, die verhängte Geld- oder Freiheitsstrafe wird also aufgehoben und darüber muss neu verhandelt werden.

Prinzipiell gilt auch hier das oben Gesagte: Der Schuldspruch ist rechtskräftig und kann bzw. muss sofort mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden. Dass die Strafzumessung nochmal vom Fachgericht entschieden werden muss, ist dafür unerheblich. Auch insoweit besteht also eine Trennung der beiden Thematiken mit separat laufenden Fristen.

Der Unterschied ist freilich, dass sich die Frage der Strafzumessung erledigt hat, falls der Schuldspruch gekippt wird.

Vergleichbar wären folgende Szenarien:

  • Die Verurteilung wegen Raubes wird bestätigt, aber es muss neu entschieden werden, ob wirklich ein besonders schwerer bewaffneter Raub vorliegt.
  • Ein Schadenersatzanspruch wegen eines negativen Zeitungsberichts wird bejaht, nur die Höhe muss noch einmal geprüft werden.
  • Der Bau eines Windrads wird prinzipiell genehmigt, lediglich die Höhe wurde gesetzeswidrig festgelegt.
Fall 3: Änderung des Schuldspruchs

Der Bundesgerichtshof entscheidet, dass der Diebstahl tatsächlich kein Diebstahl, sondern lediglich eine (weniger schwer wiegende) Unterschlagung darstellt. Die Strafzumessung dafür muss neu verhandelt werden, weil ja nun ein anderes Delikt vorliegt.

Hier ist eine rechtskräftige Verurteilung wegen Unterschlagung gegeben. Dass diese nicht so schlimm wie der Diebstahl ist, ist zwar ein Teilerfolg, aber eine Verurteilung bleibt trotzdem bestehen. Wenn man der Meinung ist, dass auch diese Verurteilung unrichtig ist, dann muss wiederum sofort dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt werden.

Ähnlich ist die Situation im Familienrecht, wo das Oberlandesgericht häufig die Entscheidung des Amtsgerichts abändert und keine Zurückverweisung erfolgt.

Bedeutende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage:
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