Wann sollte die Verfassungsbeschwerde eingelegt werden?

Der Zeitpunkt einer Verfassungsbeschwerde kann bei bestimmten Entscheidungen zweifelhaft sein.
Der Zeitpunkt einer Verfassungsbeschwerde kann bei bestimmten Entscheidungen zweifelhaft sein.

An sich ist die Frage, wann man die Verfassungsbeschwerde einlegen sollte, recht trivial: Nach der letzten vom Rechtsweg vorgesehenen Entscheidung. Findet im Strafrecht die erstinstanzliche Verhandlung vor dem Landgericht statt, gibt es dagegen das Rechtsmitteln der Revision. Hat der Bundesgerichtshof über die Revision entschieden, gibt es dagegen kein weiteres Rechtsmittel mehr. Der Weg für die Verfassungsbeschwerde ist frei und sie muss innerhalb eines Monats nach Zugang der Revisionsentscheidung eingelegt und begründet werden.

So einfach ist es aber leider nicht immer. Dieser Artikel soll aufzeigen, bei welchen Arten von Entscheidungen man genauer nachdenken sollte, zu welchem Zeitpunkt eine Verfassungsbeschwerde überhaupt zulässig, sinnvoll oder notwendig ist.

Erbscheinsverfahren

Teilweise liest man, es gäbe im Erbscheinsverfahren keine Verfassungsbeschwerde gibt. Dies ist so pauschal nicht richtig. Das Bundesverfassungsgericht verweist aber auf die Subsidiarität, wenn durch den Erbschein als solchen noch keine Belastung eintritt. In diesem Fall ist es möglich und zumutbar, die Klärung im Hauptsacheverfahren herbeizuführen und ggf. gegen dessen Urteil dann Verfassungsbeschwerde einzulegen.

Es kommt also wesentlich darauf an, ob der Erbschein, den man anfechten will, bereits in Gebrauch ist oder ein Gebrauchmachen droht. Will man umgekehrt einen Erbschein ausgestellt bekommen, ist entscheidend, ob ohne den Erbschein ein Rechtsverlust droht. Insgesamt ist die Rechtsprechung dazu aber noch relativ mager, sodass es umso mehr auf den jeweiligen Einzelfall ankommen wird.

Anklageanordnung im Klageerzwingungsverfahren

Im Klageerzwingungsverfahren kann ein Geschädigter unter Umständen die Erhebung der Anklage erzwingen, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hat. Ist der Antrag berechtigt, ordnet das Oberlandesgericht die Erhebung der Anklage an (§ 175 StPO).

Weil diese Anordnung zu einer Verschlechterung der Stellung des Beschuldigten führt, soll sie unmittelbar mit der Verfassungsbeschwerde anfechtbar sein. Dieser Fall wird also (nicht ganz konsequent) anders behandelt als der Zulassungsbeschluss des Gerichts.

Eilverfahren

Bei Verfahren des Eilrechtsschutzes (z.B. einstweilige Anordnung, einstweilige Verfügung) wird eine vorläufige Entscheidung getroffen, weil ein Abwarten der endgültigen Entscheidung des Gerichts nicht zumutbar ist.

Wird jemandem bspw. das Betreiben seines Gewerbes mit sofortiger Wirkung untersagt, bringt es ihm nichts, wenn er erst in zwei Jahren erfährt, dass die Untersagung rechtswidrig war. Bis dahin ist sein Unternehmen kaputt und weder Schadenersatz noch das Recht, das Gewerbe jetzt wieder aufzunehmen, helfen ihm viel weiter.

Ob eine Verfassungsbeschwerde gegen die Eilentscheidung zulässig ist, ist aber sehr stark einzelfallabhängig. Grundsätzlich ist diese nur zulässig, wenn ansonsten unmittelbare und endgültige Grundrechtsverletzungen drohen würden. Dies ist in der Regel eher schwer zu beurteilen.

Akteneinsicht

Das Recht, in die Akten des Verfahrens Einblick nehmen zu dürfen, ist zentral für eine effektive Vertretung der eigenen rechtlichen Interessen. Besondere Bedeutung hat dieses Recht auf Akteneinsicht im Strafverfahren. Der Beschuldigte muss hier die Möglichkeit haben, die genauen Vorwürfe und Beweismittel gegen sich prüfen zu können.

Ob aber die Verweigerung der Akteneinsicht separat anfechtbar ist, ist immer noch umstritten. Meist kommen diese Fragen auch nicht bis zum Bundesverfassungsgericht, da die Akteneinsicht meist allenfalls verzögert erfolgt, aber nicht völlig verweigert wird.

Terminsfestsetzung und Ladung

Die Festlegung einer Verhandlung und die Ladung dazu sind grundsätzlich nicht anfechtbar.

PKH-Antrag

Gegen einen Antrag auf Prozesskostenhilfe bzw. Verfahrenskosten kann grundsätzlich Verfassungsbeschwerde eingelegt werden. Dieser schafft einen eigenen Beschwerdegrund, weil damit die Rechtsverfolgung erschwert oder gar unmöglich gemacht wird. Es muss also nicht das eigentliche Verfahren durchgeklagt werden.

Eine Verfassungsbeschwerde wird sich dann regelmäßig auf Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 GG stützen lassen. Hieraus ergibt sich ein Recht darauf, dass man trotz mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit seine Rechte wahrnehmen darf.

Gerichtszuständigkeit

Entscheidungen zur Gerichtszuständigkeit sind in der Regel nicht mit Rechtsmitteln anfechtbar.

Im Strafrecht gilt jedoch eine Ausnahme für die (sehr seltene) Bestimmung eines entscheidenden Gerichts, wenn das eigentlich zuständige Gericht verhindert ist (§ 15 StPO). Zudem sollen völlig willkürliche Entscheidungen über die Gerichtszuständigkeit anfechtbar sein.

Nur in diesen Fällen dürfte dann auch die Verfassungsbeschwerde möglich sein. Ganz geklärt ist diese Frage aber noch nicht.

Beweisantrag

Die Behandlung von Beweisanträgen durch das verhandelnde Gericht ist grundsätzlich nicht mit Rechtsmitteln anfechtbar (§ 305 StPO; in der ZPO nicht ausdrücklich geregelt). Hintergrund ist, dass der Prozess nicht übermäßig verzögert werden soll, indem jeder Beschluss sofort mit der Beschwerde angefochten wird. Daher ist, so das Bundesverfassungsgericht, auch die Verfassungsbeschwerde nicht zulässig.

Die unrechtmäßige Ablehnung von Beweisanträgen kann aber im Rahmen eines Rechtsmittels gegen ein darauf beruhende Urteil angefochten werden und auch als Argument für eine Verfassungsbeschwerde dienen.

Beweisbeschluss

Ein Beschluss, dass ein bestimmter Beweis eingeholt werden soll, ist normalerweise nicht selbständig anfechtbar.

Anders ist es nur, wenn der Beschluss „zu einem bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen führt, der später nicht oder jedenfalls nicht vollständig behoben werden kann“. Wiederum handelt es sich also um eine Einzelfallentscheidung.

Mehr dazu: Zwischenentscheidung nicht durch Verfassungsbeschwerde anfechtbar (BVerfG, Az.: 1 BvR 1784/19) – anwalt.de

Befangenheitsantrag

Mit einem Befangenheitsantrag soll ein Richter, gegen den der Verdacht besteht, dass er nicht unparteiisch ist, ausgetauscht werden. Dies dient der Durchsetzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter. Beschlüsse über Befangenheitsanträge sind Zwischenentscheidungen, die normalerweise nicht selbständig anfechtbar sind.

Allerdings wird dies bei Befangenheitsanträgen etwas differenziert gesehen: Denn der Beschluss ist normalerweise für das gesamte Verfahren bindend, kann also durch Berufung und Revision nicht mehr beseitigt werden. Man kann also nicht damit rechnen, dass sich die Befangenheit im weiteren Verfahren noch aus der Welt schaffen lässt, man kann allenfalls aus einem anderen Grund noch „gewinnen“.

Hiervon gibt es aber dann eine Ausnahme, wenn das jeweilige Obergericht Grundrechtsverstöße bei Beschlüssen über Befangenheitsanträge doch prüft, also keine solche absolute Bindungswirkung annimmt. Denn dann besteht ja die Chance auf eine Klärung im Rechtsweg. Dies ist bspw. hinsichtlich des Bundessozialgerichts der Fall.

Um die Sache dann noch komplizierter zu machen, gilt dies aber wiederum nicht, wenn die Mittelinstanzen (hier eben die Landessozialgerichte) ihrerseits diese Prüfung nicht schon in der zweiten Instanz vornehmen.

Im Strafrecht ist die Verfassungsbeschwerdefähigkeit von Befangenheitsbeschlüssen ebenfalls umstritten.

Die Lage ist hier also komplett unübersichtlich. Etwas abgemildert wird dies allerdings dadurch, dass das Bundesverfassungsgericht relativ großzügig ist und in der Regel unmittelbare Verfassungsbeschwerden gegen Befangenheitsbeschlüsse für zulässig hält.

Anträge der Staatsanwaltschaft

Soweit die Staatsanwaltschaft im Strafverfahren Anträge an das Gericht stellt, muss über diese durch das Gericht entschieden werden. Es handelt sich bei der Antragsstellung zwar auch bereits um eine behördliche Maßnahme. Diese entfaltet jedoch keine unmittelbare Wirkung. Erst die gerichtliche Entscheidung kann dann angefochten werden.

Eröffnungsbeschluss

Der Beschluss, mit dem das Strafgericht eine Anklage zulässt, ist als solcher nicht mit den Mitteln der Strafprozessordnung anfechtbar. Denn an diesen Beschluss schließt sich dann die Hauptverhandlung an, in der über Schuld und Unschuld entschieden wird und auch die Grundrechte des Beschuldigten gewahrt werden können. Diese Überlegung macht sich auch das Bundesverfassungsgericht zu eigen und deswegen ist eine Verfassungsbeschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss nicht zulässig.

Eine Ausnahme wird aber dann gemacht, wenn schon die Durchführung des Hauptverfahrens eine Grundrechtsverletzung darstellen würde. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot im Raum steht. Ein solcher liegt (über den Wortlaut hinaus) nicht erst bei einer doppelten Verurteilung, sondern schon bei einer doppelten Anklage vor. Daher ist in diesem Fall nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts sowohl eine Beschwerde gemäß StPO als auch eine Verfassungsbeschwerde zulässig.

Sitzungspolizeiliche Maßnahmen

Der Vorsitzende des Gerichts hat das Recht, für Ordnung während der Verhandlung zu sorgen. Über diese sog. Sitzungspolizei kann er bspw. störende Personen entfernen lassen oder Ordnungsgelder verhängen.

Da diese Beschlüsse eine eigenständige Entscheidung darstellen, die nicht in die endgültige Entscheidung aufgeht geht, sondern von dieser völlig losgelöst sind, sind sie auch separat anfechtbar.

Zurückverweisung durch letztinstanzliches Gericht

Wenn das letztinstanzliche Gericht (normalerweise das Revisionsgericht) eine Entscheidung aufhebt, verweist es die Sache an die Vorinstanz zurück. So gesehen ist das Verfahren also noch nicht abgeschlossen.

Da aber die Vorinstanzen dann regelmäßig an die Entscheidung des Revisionsgerichts gebunden sind, ist eine Verfassungsbeschwerde hier bereits möglich und notwendig. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Revision teilweise zurückgewiesen wurde und nur hinsichtlich eines anderen Teils die Zurückweisung erfolgt ist.

Mehr dazu: Die Verfassungsbeschwerdefrist bei einer Teilaufhebung

Anhörungsrüge

Der Klassiker der Problematik ist die Erhebung der Anhörungsrüge. Die Anhörungsrüge ist ein außerordentliches Rechtsmittel, mit dem aber nur Verletzungen des rechtlichen Gehörs durch das letzte Gericht des Rechtsweges angegriffen werden können. Die Anhörungsrüge muss ergriffen werden, wenn sie realistische Erfolgschancen bietet. War die Anhörungsrüge aber aussichtslos, ändert sie nichts am Fristlauf.

Bei einer unsicheren Situation sollte die Verfassungsbeschwerde daher parallel zur Anhörungsrüge eingelegt werden. Damit diese Verfassungsbeschwerde nicht unzulässig ist, weil der Rechtsweg ja noch läuft, sollte das Bundesverfassungsgericht darum gebeten werden, diese zunächst in das Allgemeine Register aufzunehmen und eine Entscheidung durch die Richter erst herbeizuführen, wenn man dies nach Zurückweisung der Anhörungsrüge mitteilt.

Nichtzulassungsbeschwerde

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist dann möglich, wenn im Zivilrecht das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen hat. Gegen diese Entscheidung kann man dann eine isolierte Beschwerde einlegen, um die Revisionsinstanz (Bundesgerichtshof) überhaupt erst zu eröffnen, die sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde.

Die Zulässigkeit dieser Beschwerde ist aber davon abhängig, dass man mit dem Rechtsmittel mindestens weitere 20.000 Euro erkämpfen will. Dieser Beschwerdewert ist oft nicht so leicht festzustellen, vor allem, wenn es nicht um Geld geht, sondern z.B. um eine Feststellung, um Unterlassung oder um künftige Leistungen.

Ist man unsicher, ob der Beschwerdewert erreicht und die Nichtzulassungsbeschwerde überhaupt zulässig ist, empfiehlt es sich (wie bei der Anhörungsrüge), die Verfassungsbeschwerde parallel einzulegen und in das Allgemeine Register aufnehmen zu lassen.

Bedeutung für die Verfassungsbeschwerde

In Zweifelsfällen muss immer abgewogen werden, ob eine Verfassungsbeschwerde bereits sinnvoll ist. Eine „zu frühe“ Verfassungsbeschwerde kann unzulässig sein. Umgekehrt kann bei einer „zu späten“ Verfassungsbeschwerde ein Teil der Entscheidung nicht mehr anfechtbar sein, weil man diesen bereit im vorherigen Verfahren hätte anfechten müssen.

Eine grobe Faustregel ist, dass eine Verfassungsbeschwerde nur zulässig ist, wenn die jeweilige vorläufige Entscheidung ein andauernde Grundrechtsverletzung erzeugt, die auch durch eine spätere Verfassungsbeschwerde nicht mehr aufgehoben werden kann.

Eine eindeutige Antwort, wie man am besten vorgehen sollte, wird es in den meisten Fällen nicht geben. Die Frage, ob eine Verfassungsbeschwerde bereits zulässig ist oder man im Sinne der Subsidiarität noch andere Möglichkeiten vor den Fachgerichten ausschöpfen muss, ist meist vom konkreten Fall abhängig. Das Bundesverfassungsgericht macht es einem dabei nicht leichter, indem bspw. die Frage der Zulässigkeit teilweise von der Rechtsprechung der Fachgerichte abhängig gemacht wird. Daher ist es oft notwendig, abzuwägen, ob man lieber die sicherere oder die kostengünstigere Variante wählt.

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